Polarisierte Fusion

Seit den 1960‘er Jahren ist es unbestritten, dass die Energieproduktion eines kommenden Fusionsreaktors für die DT- oder die D3He-Reaktion erhöht werden kann, wenn der Kernbrennstoff polarisiert wird. Der experimentelle Nachweis zur D3He-Reaktion erfolgte bereits 1971 am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz. Bevor jedoch diese Option genutzt werden kann, müssen eine Reihe von Fragen beantwortet werden.

Die Wirkungsquerschnitte der wichtigsten Fusionsreaktionen d + t → 4He + n und d + 3He → 4He + p, die zur Energieerzeugung genutzt werden können, hängen stark von der Kernspin-Polarisation der beteiligten Teilchen ab. Beide Reaktionen laufen über eine sogenannte J=3/2+-Resonanz, die von s-Wellen dominiert wird. D.h., wenn ein Deuteron und ein Triton fusionieren, entsteht für kurze Zeit ein intermediärer 5He-Kern, der anschließend in 4He und ein Neutron unter erheblicher Energiefreisetzung zerfällt. Dieser instabile 5He-Kern hat einen Kernspin von S=3/2, so dass eine Kernfusion nur möglich ist, wenn die Spins des Deuterons (S=1) und des Tritons (S=1/2) zu S=3/2 kombiniert werden können. Wenn beide Spins antiparallel zueinander stehen ist dies nicht möglich und die Fusionsreaktion wird unterdrückt. Sind beide Spins von vornherein parallel ausgerichtet, d.h. ist der Brennstoff polarisiert, erhöht sich der totale Wirkungsquerschnitt um den Faktor 1,5. Außerdem lassen sich mit Hilfe der Polarisation die differentiellen Wirkungsquerschnitte beeinflussen und so die Flugbahnen der erzeugten Teilchen, insbesondere der Neutronen, steuern. Dies wäre eine weitere Möglichkeit, das technische Design eines Fusionsreaktors zu optimieren und könnte ein zukünftiges Fusionskraftwerk vereinfachen und die Betriebskosten senken.

Bevor jedoch das Konzept des "polarisierten Brennstoffs" für die Energieerzeugung durch Kernfusion genutzt werden kann, müssen mindestens 3 Fragen beantwortet werden:

1) Wie kann man genügend polarisierten Brennstoff herstellen?

Um diese Frage zu lösen, wurden am IKP verschiedene Ideen entwickelt, die auch für die Optimierung von polarisierten Ionenstrahlen oder polarisierten Targets für Beschleuniger hilfreich sind. Eine Möglichkeit ist die Herstellung und Speicherung von polarisierten Molekülen nach der Rekombination von polarisierten Deuterium-Atomen, die durch eine polarisierte Atomstrahlquelle erzeugt werden. In Zusammenarbeit mit dem Peter-Grünberg-Institut, der Universität Düsseldorf und dem Budker-Institut in Novosibirsk wurde eine polarisierte H2/D2-Quelle nach dem Stern-Gerlach-Prinzip gebaut und getestet. Darüber hinaus ist die Entwicklung von polarisierten Ionenquellen für COSY am IKP sehr hilfreich, da das Plasma mehrerer Fusionsreaktoren mit intensiven Deuteronen-Strahlen gespeist und gleichzeitig geheizt wird.

Ende 2022 gelang im IKP ein entscheidender Durchbruch zu dieser Fragestellung, der mittlerweile patentiert wurde (amtliches Aktenzeichen: DE 10 2022 213 860.0).

Wenn ein unpolarisierter Strahl aus metastabilen Wasserstoff- oder Deuterium-Atome mit einer festen Geschwindigkeit v durch ein sinusförmiges Magnetfeld fliegt (siehe dazu auch „Präzisionsspektroskopie der Hyperfeinstruktur des Wasserstoffs“), dann erfahren die Atome in ihrem Inertialsystem eine einfliegende elektromagnetische Welle. Die entsprechenden Photonen sind kohärent und monochromatisch und lösen Quantenübergänge aus, die miteinander interferieren können. So ist es bei bestimmten Magnetfeldstärken möglich viele der Atome in einen einzelnen Hyperfeinstruktur-Zustand mit festgelegtem Kern- und Elektronenspin zu pumpen, d.h. der Strahl wird dabei polarisiert. Simulationen haben gezeigt, dass bis zu 95% der Kernspins der Wasserstoffatome in die gewünschte Richtung ausgerichtet werden, bei Deuterium sind es zumindest 90%. Da die Energie dieser Photonen lediglich 10-9 eV beträgt, reicht eine Leistung von einem Watt um ca. 1028 Atome pro Sekunde zu polarisieren.

Der experimentelle Nachweis gelang bisher für metastabile Wasserstoff- und Deuterium-Atome im Zustand 2S. Die Ergebnisse folgen dabei sehr genau den Simulationen, die auf der Lösung der Schrödingergleichung für den entsprechenden Hamilton-Operator basieren. Ein relativistischer Ansatz nach Dirac ist nicht notwendig, da die Geschwindigkeit der Atome bei den Experimenten v~106 m/s (entspricht einer Strahlenergie von ~ 5 keV) nicht überschritten hat. Weitere Simulationen für Deuterium-Atome im Grundzustand oder sogar 3He+ Ionen waren ebenfalls erfolgreich und sollen im Herbst experimentell getestet werden.

Theoretisch ist diese Methode auf viele Atome, Moleküle und deren Ionen erweiterbar und kann für viele mögliche Anwendungen benutzt werden. Dazu gehören neue polarisierte Quellen und Targets für Experimente an Teilchenbeschleunigern, Materialforschung durch Kernspintomographie, kernspin-polarisierte Tracer in der Medizin bis hin zu deutlich verbesserten und preiswerteren Kernspin-Tomographen und eben polarisierter Treibstoff für die Kernfusion.

2) Bleibt die Kernpolarisation im Fusionsplasma erhalten?

Diese Frage ist sehr wichtig für die Verwendung von polarisiertem Brennstoff zur Energieerzeugung. Wenn die Lebensdauer der Polarisation im Plasma kürzer ist als die durchschnittliche Zeit, die ein Kern für die Fusion benötigt, hat der polarisierte Brennstoff kaum Einfluss auf die Fusionsraten oder die Energieerzeugung. Auch diese Frage wird seit den 80er Jahren diskutiert, aber bisher waren noch keine Experimente mit polarisiertem Brennstoff möglich. Außerdem muss diese Frage für jeden Reaktor separat beantwortet werden, da die Menge der depolarisierenden Wandkollisionen oder die Dichte des Plasmas einen großen Einfluss haben können.

Neben dem Fusionskonzept des "magnetischen Einschlusses" des Plasmas wie in einem Tokamak oder einem Stellarator gibt es noch andere Möglichkeiten, z.B. die laserinduzierte Kernfusion. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob die Kernpolarisation unter den extremen magnetischen und elektrischen Bedingungen dieser Laserstrahlen überleben wird. In diesem Fall beteiligt sich das IKP an einer Kooperation mit dem Peter-Grünberg-Institut (PGI-6, Gruppe von Prof. Markus Büscher, HHU) an entsprechenden Messungen am PHELIX-Laser der GSI in Darmstadt, um polarisierte 3He2+-Ionen durch Laserbeschleunigung aus polarisierten 3He-Atomen zu erzeugen. Wenn dies gelingt, wird parallel dazu gezeigt, dass die Kernpolarisation im laserinduzierten Plasma erhalten bleibt. Weitere Experimente dieser Art, z.B. mit polarisiertem D2- oder HD-Eis als Ersatz für das radioaktive DT als Targetmaterial, könnten im Rahmen des JuSPARC-Projekts möglich sein.

3) Was geschieht, wenn nur polarisiertes Deuterium für die Fusion verwendet wird?

In allen wissenschaftlichen Reaktoren für Kernfusions-Experimente wird die Verwendung von radioaktivem Tritium vermieden und es werden nur die D+D-Reaktionen (d + d → 3He + n oder d + d → t + p) eingesetzt. Bei diesen Reaktionen, sogenannten direkten Kernreaktionen, ist jedoch der Einfluss des Kernspins auf die Reaktionsraten weitaus komplizierter. Die theoretischen Vorhersagen für parallele Spins reichen von einer Unterdrückung der Reaktion d + d → 3He + n um den Faktor 10 bis zu einer Erhöhung der Reaktion d + d → t + p um den Faktor 2,5 im Energiebereich eines kommenden Fusionsreaktors (in der Abbildung grün markiert). Nur eine Messung dieses so genannten "Quintett-Unterdrückungsfaktors" kann die unterschiedlichen Vorhersagen der verschiedenen Modelle belegen und zeigen welche Spin-Kombination die Reaktionsrate erhöht oder die Neutronenproduktion unterdrücken kann.

Polarisierte Fusion
Das Bild zeigt die unterschiedlichen Vorhersagen für den "Quintet-Suppressionsfaktor", d.h. die Änderung der Wirkungsquerschnitte für verschiedene Energien, wenn die Kernspins der Deuteronen parallel zum Magnetfeld ausgerichtet sind.

Das Experiment selbst wird derzeit am St. Petersburger Institut für Kernphysik (PNPI) in Gatchina, Russland, in Zusammenarbeit mit der Universität Ferrara, Italien, und dem IKP Jülich aufgebaut (Stand 2021).

Letzte Änderung: 12.06.2023